Der Sozialkapitalismus und die Wirtschaftswissenschaft

Warum schimpfen Flassbeck und die alternativen Ökonomen auf die gegenwärtige Wirtschaftspolitik, die in die Krise führt? Warum unterstellen sie Scholz und Schäuble, Draghi und Weidmann, Hans Sinn und Krugman Ignoranz, ja Böswilligkeit? Weil diese Repräsentanten des Mainstream, die die laufende Diskussion beherrschen, nichts von der Rolle des Staates als entscheidendem Akteur, der durch seine Investitionstätigkeit den Ausbruch der Krise noch aufhalten oder die Tiefe der Rezession noch mildern könnte, halten. Verächtlich blicken diese Leute auf die sogenannten Keynesianer, die dem staatlichen Handeln entscheidendes Gewicht beimessen. Stur bleiben sie bei ihren marktwirtschaftlichen, neoliberalen Konzepten, auch wenn sie immer wieder in die Krise führen.

Sie beherrschen aber den Mainstream, weil sie ein höheres Gesetz verinnerlicht haben: Alle Gesetze, alle Regierungsformen und alle Wirtschaftstheorien stehen unter dem Vorbehalt, dass sie dem Klassenerhalt dienen müssen. Es muss nicht nur die Herrschaft der zur Zeit Regierenden gesichert werden, die Klassenherrschaft an sich darf nicht infrage gestellt werden. Die Existenz von Unter- Mittel- und Oberschicht darf nicht in Gefahr geraten.

Eine Wirtscftaftspolitik, welche die breiten Volksmassen von den wirtschaftlichen Zwängen befreite, würde das Selbstbewusstsein wecken und das Aufbegehren fördern. Zwang und Gewalt und aus allen Schichten das Äußerste an Arbeitsleistung heraus zu pressen, würde nicht mehr akzeptiert. Ein Grundeinkommen ist jetzt schon in aller Munde.

Der Marktliberalismus gibt vor, nicht weiter zu denken und den Markt als oberstes Regulierungsprinzip zu fordern. Tatsächlich aber gibt es keinen durch den Markt regulierten, freien Austausch von Gütern. Das wichtigste Gut, die menschliche Arbeitskraft, wird immer nur zu dem Preis gehandelt, der zur Erhaltung der Arbeitskraft erforderlich ist. Da die Arbeitskraft immer im Überschuss vorhanden ist, bzw solange sie im Überschuss vorhanden ist, ist ein höherer Preis im freien Spiel der Marktkräfte nicht zu erzielen. Der Kapitalismus befreit den Verkäufer seiner Arbeitskraft tendenziell von allen sonstigen Bindungen, aber nicht von dem Zwang seine Arbeitskraft zu verkaufen. Anderenfalls kann kein Kapital erzeugt werden. Allein daraus ergibt sich der unbedingte Zwang zur Über- und Unterordnung.

Die neoliberale Gesellschaftsordnung stellt zur Zeit das Klassensystem sicher. Wenn marktradikale Ausprägungen den sozialen Frieden stören und den Zusammenhalt labil erscheinen lassen, sind auch andere Regime denkbar. Ein Wirtschaftssystem, das auf der MMT (Modern Monetary Theory) basierte, würde geduldet werden, wenn es unter der Prämisse stehen würde, den Klassenerhalt nicht zu gefährden. Solange das von den Protagonisten nicht ausdrücklich erklärt wird, wird diese Theorie mit Misstrauen beäugt und von den Medien nieder gemacht und Austerität bleibt das bevorzugte Herrschaftsinstrument.

Es nützt auch nichts und ist tatsächlich nur verschleiernd ein Demokratiedefizit in der EU zu konstatieren, denn die Herrschaft der marktliberalen Technokraten ist ja gerade der Kern der EU.

Aus den Wirtschaftswissenschaften kann die Antwort auf die Fragen unserer Zeit nicht kommen, so weit ist die politische Ökonomie noch nicht. Und es ist eine ziemlich abgehobene Vorstellung, dass die gegenwärtige Wirtschaftsordung durch eine Fiskalrevolution überwunden werden könnte. Einen Sozialkapitalismus kann es nicht geben; soziale Inklusion ist eine Schimäre.

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