Was die Regierung jetzt gegen die Krise und für die Zukunft unserer Industrie tun muss

Norbert Häring | norberthaering.de

Die deutsche Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal geschrumpft und alle Indizien deuten darauf hin, dass es im dritten Quartal, das gerade Halbzeit hat, eher schlechter gelaufen ist als besser. Das liegt nur vordergründig an Donald Trump und seinen Handelskriegen. Die deutsche Wirtschaft war auf einem in mehrfacher Hinsicht nicht durchhaltbaren Pfad. Jetzt ist die Regierung gefordert, durch mutiges und planvolles Handeln eine tiefe Umstellungskrise zu vermeiden.

Das deutsche Erfolgsmodell war nicht nachhaltig, weil es die Grenzen der Verschuldungsfähigkeit der übrigen Welt ignorierte und weil es ignorierte, dass wir schon sehr nahe an den Grenzen der ökologischen Belastbarkeit unseres Heimatplaneten sind.

Was die ökonomischen Grenzen angeht, so kann es nicht auf Dauer funktionieren, dass neben dem aufholenden Riesenreich China mit 1,5 Milliarden Menschen auch das reiche Deutschland versucht, seinen Wohlstand durch Export und Sparsamkeit zu steigern, und auf Dauer jedes Jahr sieben oder acht Prozent seiner Wirtschaftsleistung mehr exportiert als importiert. Das Gegenstück zu den Exporterfolgen dieser beiden Nationen ist, dass die übrige Welt immer höhere Auslandsschulden aufbaut. Je länger das geht, desto mehr Länder erreichen ihre Verschuldungsgrenze und wollen oder können dieses Spiel nicht mehr mitmachen. Hätte Trump sich nicht quergestellt, hätten es früher oder später andere getan. Oder es wären einfach immer mehr Länder – auch EU-Länder – in Krisen geraten und hätten uns unsere Exporte nicht mehr abnehmen können.

Was die ökologischen Grenzen angeht: Ohne einen Plan, wie man Individualverkehr mit den Erfordernissen des Klimaschutzes und dem Erhalt lebenswerter Städte vereinbaren kann, muss eine Industrie, die ganz wesentlich vom ungebremsten Wachstum des Individualverkehrs abhängt – früher oder später in die Krise rutschen.

Die deutsche Wirtschaft erlebt also derzeit eine Kombination aus Konjunkturkrise und fundmentalen Umstellungsproblemen, die das Zeug hat, sich zu einer tiefen Strukturkrise auszuwachsen. Gegen beides hilft jetzt nur noch schnelles und mutiges Planen und Handeln der Regierung.

Gegen die Konjunkturkrise

Dagegen, dass die Rezession sich vertieft hilft ein Umschalten in der Finanzpolitik auf Mehr-Geld-ausgeben-als-einnehmen, um die Nachfrage zu beleben. Denn die Unternehmen und privaten Haushalte neigen vernünftiger Weise dazu, in der Krise ihre Ausgaben zu kürzen. Das kann leicht in eine Abwärtsspirale von Nachfragemangel, Einkommensausfälle, Sparen und dadurch noch größerem Nachfragemangel führen.

Was nicht hilft, oder allenfalls ganz kurzfristig, sind Maßnahmen, die auf der falschen Problemdiagnose aufbauen, Deutschland habe nicht genug für seine Wettbewerbsfähigkeit getan. Deshalb müssten jetzt unter anderem die Steuern für die Unternehmen gesenkt werden. Dass die deutsche Industrie preislich nicht wettbewerbsfähig genug sei, ist angesichts jahrelanger riesiger Exportüberschüsse eine geradezu absurde Behauptung.

Für die Zukunftsfähigkeit

Um eine tiefe Umstellungskrise der deutschen Industrie zu verhindern ist wichtig, dass das zusätzliche Geld so ausgegeben wird, dass es die langfristigen Herausforderungen lösen hilft und nicht verschärft. Kluge und verlässliche Planung ist gefragt. Das erst schafft die Voraussetzung für die nötigen Investitionen der Privatwirtschaft, die auch konjunkturell viel helfen würden. Denn in nicht nachhaltige Geschäftsmodelle investiert man nicht mehr als nötig und in neue Geschäftsmodelle nur dann, wenn die Unsicherheit nicht zu hoch ist. Die Politik darf sich deshalb nicht weiter in unzusammenhängenden, symbolischen Aktionen erschöpfen, wie dem angedachten Verbot von Plastiktüten und einer Abwrackprämie für Ölheizungen.

Ein integrierter Gesamtplan fehlt

In der Energiepolitik macht das Fehlen eines Gesamtplans die vielen Einzelmaßnahmen zu teuer und gleichzeitig wenig wirksam. In der Verkehrspolitik gilt dasselbe und bei beiden passt nicht einmal die Richtung zusammen. Wenn man Solarenergie und Windkraft massiv fördert, braucht man einen schlüssigen Plan, wie man mit der stark schwankenden Energieerzeugung aus diesen Quellen umgeht. Die angestrebte, aber mangels Ladenetz bisher unterbliebene, massive Vermehrung der Elektroautos auf den Straßen würde das Problem noch verschärfen. Man stelle sich zehn Tage ohne Sonne und Wind im Dezember vor, mit Millionen Elektroautos, deren Batterien leer werden. Nach einigen Tagen wollen zusätzlich zum normalen Strombedarf alle ihre Batterien laden und Weihnachtsplätzchen backen, aber es gibt keinen Sonnen- und Windstrom.

Aber die Regierung gibt keine Signale, dass sie überhaupt an einem übergreifenden integrierten Plan für die Energieversorgung, -verteilung und -nutzung arbeitet. Schon die regionale Verteilung der Kraftwerke und der Ausbau des Verteilnetz scheinen nicht vernünftig koordiniert zu werden.

Ein paar Ideen:

  1. Braunkohleförderung beenden. Arbeitsplatzaufbau in den betroffenen Regionen fördern. Lizenzen und Aufträge des Staates wo immer möglich davon abhängig machen, dass nicht ortsgebundene Investitionen in diesen Regionen getätigt werden.
  2. Einen verlässlichen Plan zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs erstellen, damit Daimler und Co. ihre Kapazitäten stärker darauf verlagern können.
  3. Car-Sharing finanziell und administrativ fördern und durch staatliche Koordinierung dafür sorgen, dass die nötigen Skaleneffekte (großes Angebot mit Auto an fast jeder Ecke) erreicht werden, vor allem auf dem Land.
  4. CO2-Steuer nicht für die Verbraucher von Energieträgern, weil das viel zu viele sind, sondern auf die Importeure und Produzenten dieser Energieträger. Dann lässt sich das viel leichter handhaben.
  5. Erstellen eines Planes, welche Branchen eingehen, wenn man den CO2-Preis auf das nötige Niveau anhebt, und was man tut, um deren Beschäftigte in Lohn und Brot zu halten. Ohne das ist das Gerede um CO2-Bepreisung nur Symbolpolitik, weil der Preis notwendigerweise zu niedrig bleiben wird.
  6. Aufhören von emissionsfreien Verkehrsmitteln etc. zu reden, weil es die nicht gibt. Selbst die Segelyacht, mit der Greta Thunberg zur UN und wieder zurück segelt, ist für viel CO2 verantwortlich, wenn man richtig rechnet. Wenn man so tut als wären Elektroautos emissionsfrei, kann man keinen vernünftigen Plan erstellen.

Die traurige Wahrheit wird dann allerdings offenbar, dass wir die Klimaziele ohne kräftige Reduktion unseres materiellen Verbrauchs nicht erreichen können. Aber das muss nicht schlimm sein. Denn es gibt vieles, was das Leben der Menschen deutlich verbessern könnte, ohne mit materiellem Verbrauch verbunden zu sein – zuvorderst bessere Pflege, bessere Kinderbetreuung und Krankenversorgung, weniger Arbeit, mehr Freizeit und mehr sinnvolle Freizeitbeschäftigungen.

Die Vernunft im Kapitalismus

Andreas Triebel

Ja, Herr Häring, das sind schöne, vernünftige Vorschläge. Aber die Vernunft der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zeigt sich nicht in der Wohlfahrt der Völker, sondern in der Anhäufung von Kapital. Die Generallinie ist die Renditejagd. Der Verbrauch unserer Luft, unserer Atmosphäre, die allen gehören sollte, dient in erster Linie dem Profitinteresse. Unser Wasser, das allen Menschen ausreichend zur Verfügung stehen sollte, wird zum Zwecke der Renditevermehrung verbraucht und ungefiltert in die Ozeane geleitet. Die industriell nutzbaren Rohstoffe werden den Böden entzogen, während die Menschen in den rohstoffreichen Ländern unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Von der Schutzmacht des Westens werden Banditen zu Regierungscliquen eingesetzt oder Militärclans, ob in Chile (nach Ermordung von Allende), im Kongo (nach Ermordung von Lumumba), in Nigeria unter Landschaftsverwüstung durch den Shell- Konzern oder in Saudi- Arabien durch eine religiös gefärbte Diktatur. Die Landwirtschaft Afrikas wird zerstört, der Bevölkerung werden die Lebensgrundlagen entzogen und die kräftigen und überlebensfähigen Teile der Bevölkerung, die die Kraft für die beschwerliche Flucht aufbringen, müssen ihre Existenz als billige Tagelöhner in Westeuropa fristen. Der hiesigen arbeitenden Klasse dienen sie als Mahnung und Drohung bei Streiks und sozialen Unruhen.

Die politische Klasse darf auf keinen Fall die Klassenherrschaft und die damit verbundenen Privilegien infrage stellen. Die bürgerliche Ideologie ordnet auch die Nationalökonomie diesem Ziel unter. Sie hat den Neoliberalismus zur Herrschaftstechnik unserer Zeit entwickelt. Mit der Forderung nach der sogenannten schwarzen Null lassen sich die eigentlichen Ziele des Austeritätsprogramms, die Depravation großer Bevölkerungsteile und die schrankenlose Ausbeutung des Arbeitskräftereservoirs, hervorragend vernebeln. Die riesigen angehäuften Kapitalmassen stehen nicht zur Verbesseung der Lage der arbeitenden Klasse zur Verfügung.

Unsere Gesellschaftsordnung beruht auf der Herstellung von Waren und der Ausbeutung von Arbeitskraft. Weiche Faktoren, wie bessere Versorgung von Kranken, gute Betreuung von Kinder, mehr Freizeit sind systemschädlich, müssen daher erkämpft werden und haben immer nur zeitweise Bestand. Sie werden in der kommenden Krise wieder eingeschränkt werden. Heftig wird bereits entsprechend dem neoliberalen Mantra über die Abschaffung des sogenannten Solidaritätszuschlages gestritten, um bei der nächsten Gelegenheit zu erklären, dass für eine bessere Pflege, bessere Kinderbetreuung und mehr Freizeit kein Geld da sei.

Sinnvolle Pläne müssten eine antikapitalistische Stoßrichtung besitzen:

Die Privatisierung der Wasserversorgung müsste gestoppt werden.

Die Bereicherung der Kapitalgesellschaften durch das Gesundheitswesen, die von der SPD- Ministerin Ulla Schmidt eingeführt wurde, müsste beendet werden.

Die Gesetze zur Abschaffung des sozialen Schutzes durch die Schröder- SPD- Regierung müssten wieder aufgehoben werden.

Um die sozialen Auseinandersetzungen überschaubar zu machen, müsste die nationale Souveränität wieder klarer hervor treten können.

Und es ist wahrscheinlich, dass Investitionen des Staates an Verlauf und Tiefe der kommenden Krise kaum etwas ändern können. Der Entzug der Kaufkraft gehört wesensmäßig zum Kapitalismus. Die Historie bietet kaum Beispiele für ein erfolgreiches Eingreifen des Staates. Roosevelts New Deal kam erst zur Entfaltung, als die große Depression sich dem Ende zuneigte. Und die abnehmenden Renditemöglichkeiten in der Weltwirtschaftskrise zu Beginn unseres Jahrhunderts provozierten ein aggressiveres Vorgehen der politischen Klasse; in Deutschland bot sich umgehend die Sozialdemokratie an und gab größere Teile der arbeitenden Klasse zur Ausbeutung frei und hob die sozialen Schutzgesetze auf. Immerhin ließen Schröder und Fischer nicht wie Noske und Ebert auf deutsche Arbeiter schießen, sondern beschränkten sich auf die Bombardierung von Jugoslawen. Der Staat aber war als Investor kein wesentlicher Player, der zur Beendigung der Krise beigetragen hätte.

Nationalökonomie ist eine Herrschaftsfrage. Macht schlägt Utopie. Das haben Scholz und Konsorten begriffen. Noch kann die westeuropäische Bewegung der Gelbwesten unterdrückt werden. Die Mittelklasse ahnt aber, dass die Reduktion des materiellen Verbrauchs nicht nur der Unterklasse auferlegt werden kann. 1789 könnte sonst schneller kommen, als bis jetzt vorstellbar.

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