Warum gibt es den Ärztemangel in Deutschland?
Diese Gesellschaft hat sich geändert. Karitative Berufe ( und der Arztberuf wird als ein solcher angesehen) stehen nicht mehr hoch im Kurs. Junge Leute, die das Abitur gemacht haben, fragen sich, ob sie das lange Studium und dann noch eine Weiterbildung absolvieren sollen, um dann auch nach 17.00 Uhr noch zur Verfügung zu stehen und am Wochenende Dienste ableisten zu müssen. Wenn schon Arzt, dann wenigstens ein Fach, in dem man Geräte zur Untersuchung bedienen kann und rechtzeitig Schluss hat, ein geregeltes Einkommen und ausreichende Urlaubszeiten. Die rigide Hierarchie an den Krankenhäusern erleben viele Ärzte als Tortur. Vierzehn Tage Urlaub am Stück werden höchstens gewährt und können jederzeit gestrichen werden. Diese Verhältnisse können nur noch Ärzte aus Osteuropa zugemutet werden. Daher ist in vielen Abteilungen der Krankenhäuser nur noch der Chefarzt muttersprachlich deutsch. Dass dadurch die Gesundheitssysteme in den osteuropäischen Ländern am kollabieren sind, interessiert niemanden. Und für die Zeit nach der Niederlassung als Hausarzt erwarten die Ärzte unbegrenzte Arbeitszeiten bis in den Abend hinein und eine ständige Bereitschaft. Seit der Wirtschafts- und Gesellschaftskrise, die vor ca. zehn Jahren begann, hat ein Wertewandel mit Abwertung des Karitativen stattgefunden. In der Ellenbogengesellschaft wehrt man sich gegen die beruflichen Zumutungen durch eine Betonung der Freizeit und durch Abgrenzung vom Beruf; die materielle Entlohnung steht mehr im Mittelpunkt und die Berufswahl soll der Familiengründung nicht im Wege stehen. Diese Ziele meint der Abiturient eher als Steuerberater, Richter, Ingenieur oder Pädagoge verwirklichen zu können. Dass man diese Ziele auch mit einer Tätigkeit als Hausarzt vereinbaren könnte, dieser Gedanke ist ihm wirklich eher fernliegend. Nun haben die politische Klasse und die ärztliche Funktionärskaste, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden, einige Maßnahmen eingeleitet, welche die Zusammenarbeit und die Teilzeitarbeit erleichtern sollen. Das sind aber nur marginale Veränderungen, denn alle jungen Ärztinnen mit kleinen Kindern, die Teilzeitarbeit anstrebten, wurden auch bisher schon im ambulanten Bereich vollständig absorbiert, sodass die Arbeitslosigkeit hier schon seit Jahrzehnten null Prozent beträgt. Auch die materielle Lage wurde verbessert, kann aber noch nicht mit der Entwicklung in den anderen klassischen Mittelschichtberufen mithalten. So fehlt inzwischen fast eine ganze Generation an deutschen Ärzten und es kann noch zehn Jahre dauern, bis wieder eine spürbare Zahl von Ärzten in diesen Beruf einsteigen will.