Freie Republik Katalonien?
Das Recht auf Nationenbildung ist ein Menschenrecht. Es gehört zur Würde des Menschen, ist unveräußerbar und nicht relativierbar. Dem Recht liegt das Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit von Hierarchie zugrunde. Eine Rechtsodnung, die man nicht abschütteln kann, die keinen Austritt zulässt, ist ein Herrschaftssystem, das gegen das Völkerrecht verstößt.
Wenn aber der Kapitalismus, der wie jedes andere Wirtschaftssystem nicht weltanschaulich neutral ist, mit seinem alles dominierenden Ziel der Renditevermehrung zur herrschenden Gesellschaftsordnung wird, treten die anderen, traditionellen Werte in den Hintergrund und Staaten wie Jugoslawien und die Tschechoslowakei zerfallen und dann muss auch den Katalanen das Streben nach Identität und Würde zugestanden werden.
Der Westen hält Tibet den Chinesen vor und im Sudan griffen die Vereinten Nationen ein, während in Irland schon Tausende starben, bevor die Gewalttätigkeiten beendet wurden. Nachdem sich die Sowjetunion als ein Durchgangsstadium erwiesen hat, streben auch andere gewaltsame Gebilde wie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Spanien, in dessen Gesellschaft die Verwüstungen des Franco- Faschismus noch spürbar sind, auseinander und die einzelnen Teile suchen nach einer Werteordnung, die ihnen der Kapitalismus nicht bieten kann.
Wenn Katalonien den Weg ins wilde Kurdistan gehen würde, hätte die geringste Schuld daran Puigdemont.
Das Problem in Katalonien besteht meines Erachtens darin, dass ein wesentlicher Bevölkerungsanteil nicht für Unabhängigkeit ist. Kann man diesen einen so radikalen schritt aufzwingen?
Zum zweiten wundere ich mich manchmal ein wenig über die Grundannahme, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung wäre links. Das ist durchaus nicht der Fall. Von den drei independentistischen Parteien ist nur die kleine CUP eine klar linke Partei, die für eine Änderung der kiapitalistischen Gesellschaftsordnung eintritt. Puigdemonts Partei hingegen ist aus der früheren CiU hervorgegangen, die in ihrem Programm zwischen CSU und FDP rangierte. Sie steht vor allem dem katalanischen Bürgertum nahe, das sich -nur nebenbei bemerkt- seinerzeit sehr gut mit Franco arrangiert hatte.
Vieles spricht dafür, den katalanischen Independentismus eher im Bereich der identitären Bewegungen zu sehen.
S.P. 19.04.18
O.K. 23.04.18
Für Ihren Beitag zu Thema „Streben nach Identität“ der Katalanen möchte ich mich bedanken. Er spricht mir aus dem Herzen. Ich bin zwar Hispanist, habe aber mit den Katalanen speziell nichts zu tun. Mir geht es (wie vermutlich auch Ihnen) um das Prinzip, dass das Streben nach Identität und nach Unabhängigkeit kein krimeneller Akt sein darf. Sonst hätten sich ja auch die Litauer, die Esten und die Letten strafbar gemacht, als sie das sowjetische Joch abschüttelten.
Ich halte es für einen Geburtsfehler der EU, dieses Recht nicht in ihren Statuten verankert zu haben. Sie geißeln zu Recht, dass monetäre und ökonomische Prinzipien über dieses Recht gestellt werden.
R.H. 23.04.18
Beim Thema „Carles Puigdemont“ bin ich nicht auf Seiten der spanischen Regierung. Die ersten Unruhen bzw. Demos waren aber nicht gerade geeignet, meine Sympathie zu erlangen. Nach der offiziellen Volksabstimmung sieht das jetzt etwas anders aus.
Trotzdem bin ich skeptisch, wenn es einen katalanischen Staat geben soll. Dieser wäre vorerst m.E. nicht lebensfähig.
Wenn es um demokratische Lagitimation und Selbstbestimmungsrecht geht, sollte man vielleicht zuerst die spanische Demokratie reformieren.
Die Nachfolger Francos haben m.E. alle Dreck am Stecken.