Ein hanseatischer Kaufmann
Olaf Scholz durchläuft die Traumkarriere eines Sozialdemokraten der gehobenen Funktionärsschicht. Falls er auch noch zum Parteivorsitzenden gewählt wird, hat er eines seiner Traumziele erreicht.
Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend hat er zäh die Parole vom Aufstieg durch Bildung verbreitet. Im studentischen- und Hochschulmilieu, deren Vertreter in Hamburg die SPD dominieren, hat er sich hoch gearbeitet ohne mit den harten Lebensbedingungen der Proletarier in Kontakt kommen zu müssen. Und in verantwortlichen Positionen, besonders als Finanzminister, hat er bürgerliche Positionen vertreten. Die Ideologie vom Staat, der sparen müsse, hat er eifrig verbreitet. Für wen eigentlich der Staat sparen soll, das wollte er nicht erklären.
Der Proletarier ist aber auf kollektive Fürsorge angewiesen. Materielle Mittel um zu sparen hat er nicht. Er will seine Kinder in Freibäder schicken können und in renovierte Schulen und Kindergärten. Und dass er im Alter nur noch in die Lüneburger Heide fahren kann, aber nicht mehr ins Ausland, das sieht der Proletarier, der während seines ganzen Lebens seine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt hat, auch nicht ein. Altersarmut ist für Funktionäre, die aus dem Hochschulmilieu kommen, kein Problem mit dem sie umgehen können. Und dass die Landbevölkerung mit immer weniger deutsch sprechenden Ärzten auskommen muss, ist für die gehobene Funktionärsschicht kein Thema. Beim Überhören von Problemen unterscheiden sich die tonangebenden Cliquen in den einzelnen Parteien nicht.
Als es um die Geschäfte der mit Aktien handelnden Finanzoligarchie ging, waren über einen Zeitraumvon mehr als zwölf Jahren viele Milliarden (inzwischen über fünfzig Milliarden) vorhanden, um sie aus Staatsmitteln zur Verfügung zu stellen. Dabei haben sich Scholz und Schäuble nicht unterschieden.
Den Austeritätskurs der Regierung, der sich im Verfall der öffentlichen Daseinsvorsorge manifestiert, hat Scholz wie Schäuble fortgeführt.
Warum verleugnet die führende Funktionärsschicht der SPD ihre Wähler? Schröder wollte seine Herkunft hinter sich lassen und nahm das Wort Arbeiter nicht mehr in den Mund. Er sprach nur noch von den Menschen (vielleicht nach dem Vorbild eines gewissen deutschen Kaisers, der plötzlich keine Parteien mehr kannte).
Diese Funktionärsschicht schämt sich ihrer Herkunft und ihrer Wähler aus dem proletarischen Milieu. Sie verdanken ihnen zwar den sozialen Aufstieg, ihre Macht und ihr Ansehen. Aber sie wollen höher hinaus. Sie wollen die Anerkennung durch das Bürgertum. Sie wollen als Mitglied der bürgerlichen Klasse anerkannt werden. Erst dann sind die Karrieristen und Aufsteiger zufrieden.
Schröder war so ein rücksichtsloser Karrierist und Scholz wäre ein geeigneter Nachfolger, wenn auch nicht mit so einer grossen Klappe.
Wenn überhaupt noch jemand SPD wählt, dann sicher nicht wegen der Berliner Funktionärsschicht; der fällt zur Klimakrise nur ein Verbot von Plastiktüten ein, wobei jedem, der nachdenkt klar ist, dass dies schon vor zwanzig Jahren versäumt wurde und jetzt nur noch ein Gag für die Medien ist. Kurzatmiger Aktionismus beseitigt nicht das gestörte Verhältnis der SPD zum Umweltschutz.
In der Arbeiterklasse ist die SPD nicht mehr verankert (für die gehobenen Funktionäre gibt es diese Klasse nicht mehr) und die Mittelklasse benötigt diese Partei nicht mehr. Da nützt auch ein sich als seriöser, hanseatischer Kaufmann gebender Finanzminister nichts.